Es ist eine überaus erfreuliche Entwicklung, dass sich der gesellschaftliche Blick auf die Natur und ihre Lebewesen zu wandeln scheint. Viele Menschen suchen in der Natur nach gesünderen Alternativen zu den Ernährungs- und Heilkonzepten unserer modernen, industrialisierten Welt. Vielerorts boomen aktuell Wildkräuterwanderungen, bei denen Experten eine ganz neue Sicht auf unsere heimischen (Un-)kräuter eröffnen. Tatsächlich enthalten nämlich unheimlich viele der häufig als „Unkräuter“ verunglimpften Pflanzen in ihrem Inneren Substanzen, die Heilwirkung entfalten können. Oder sie können als wohlschmeckende und gesunde Alternative unseren Speiseplan bereichern.
Viel Wissen darüber ist in unserer modernen Welt verlorengegangen und wird jetzt erst langsam, Schritt für Schritt, neu entdeckt. Die Nahrungs- oder Heilpflanzen sind allerdings völlig unterschiedlich. So sind es beim Meerrettich oder dem Baldrian vorwiegend die Wurzeln, die verarbeitet werden. Beim Waldmeister hingegen verwendet man den (getrockneten) Grünanteil. Die begehrten Inhaltsstoffe können auch in Früchten und Samen enthalten sein. So unterschiedlich wie diese Pflanzen und Pflanzenteile, so mannigfaltig sind auch die begehrten Inhaltsstoffe. Jeder Inhaltsstoff hat seine ganz eigenen Eigenschaften – manche sind fettlöslich, manche in Wasser. Manche sind flüchtig und instabil, andere eher robust. Und so benötigt jede Pflanze und jeder Inhaltsstoff seine ganz eigene Art und Weise der Zubereitung, um optimale Wirkung entfalten zu können.
Ist es besser, für eine bestimmte Pflanze und einen bestimmten Inhaltsstoff einen alkoholischen Auszug, einen Essigauszug oder sogar einen Milchauszug zu machen und wie geht das überhaupt? Kann man eine bestimmte Pflanze trocknen, ohne dass sie ihre Wirkung verliert? Oder ist die Pflanze nur ganz frisch für eine Verarbeitung geeignet? Und wie trocknet und lagert man eigentlich? Was ist Sauerhonig oder Fruchtleder? Fragen über Fragen!
All diese Fragen und noch sehr viele mehr beantwortet Karin Buchart, renommierte Expertin für traditionelle europäische Heilkunst und Kräuterkunde, in ihrem neuen Buch „Das Kräuterhandwerk“. Wie der Titel schon verrät, ist dieses Buch auf die Handwerkskunst der Verarbeitung von Pflanzenteilen ausgerichtet. Die Autorin fasst jahrhundertealtes Wissen über die Zubereitung von Heilpflanzen zusammen und verbindet es gekonnt mit den Erkenntnissen moderner Wissenschaft.
Tatsächlich gibt es viel mehr Methoden, Pflanzen und Teile von ihnen zuzubereiten als ich gedacht hätte. So hatte ich zuvor noch nie etwas von Oxymel (saurer Honig) gehört – und auch viele andere Zubereitungsmethoden waren mir eher unbekannt. Und dennoch haben alle diese Zubereitungsmethoden natürlich ihre Daseinsberechtigung. In einem langen Prozess wurden sie entwickelt und über Generationen hinweg immer weiter verbessert, so dass die Inhaltsstoffe der Pflanzen die größtmögliche gewünschte Wirkung entfalten können.
Neben den vielen verschiedenen Zubereitungsmethoden und deren Grundlagen enthält „Das Kräuterhandwerk“ ähnlich einem Kochbuch eine Fülle leicht verständlicher praktischer Anleitungen und Rezepte zur Zubereitung von Auszügen aller Art, Tinkturen, Salben, Ölen und vielem anderen mehr (zum Beispiel dem sauren Honig).
Das Buch ist jedoch nicht nur ein Buch, das viel altes Wissen zusammenfasst. Ich empfinde das Buch als im Wortsinne sehr sinnlich: Wie das ebenfalls sehr empfehlenswerte Buch „Die Natur-Apotheke“ ist auch dieses Buch mit reichlich wunderschönen Illustrationen ausgestattet. Darüber hinaus lädt das Buch ein, unsere Heilkräuter bewusster, mit allen Sinnen eben, wahrzunehmen und ihnen den Respekt zu zollen, der ihnen gebührt. Letztendlich ist das Buch eine Einladung zu mehr Naturnähe – und genau das ist der Grund, aus dem ich dieses Buch hier gerne vorstelle und es jedem wärmstens ans Herz legen kann.
Alle Bilder dieses Beitrags sind Illustrationen von Veronika Halmbacher aus dem Buch „Das Kräuterhandwerk“ von Karin Buchart (erschienen 2024 im SERVUS-Verlag).