Die Heilkräfte von Kräutern liegen oft tief in Blättern, Blüten oder Samen verborgen. Um an die begehrten Wirkstoffe zu kommen, werden seit Jahrhunderten verschiedene Kräuterhandwerke weitergegeben: ein heißer Aufguss, eine Mischung mit Honig oder ein Auszug mit Schnaps oder Apfelessig.
Als ich vor 20 Jahren das alte Heilwissen meiner Pinzgauer Heimat bei Bergbäuerinnen erfragt habe, hatte ich keine Ahnung, dass mich dieses Thema so lange begleiten würde. Seit 2004 versuche ich, das Erfahrungswissen über Kräuter und Heilpflanzen mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft abzugleichen und den alltagstauglichen und sicheren Teil davon wieder zu verbreiten. Es war meine Doktorarbeit: Biogene Arzneimittel im Salzburger Pinzgau.
Seit damals hat sich viel getan. Das Thema Kräuter ist nun in aller Munde und in fast allen Branchen angekommen. Seit einigen Jahren wandert der Fokus ein wenig von den reinen Pflanzenportraits hin zu den Prozessen. Damit kommt auch der ökologische Aspekt mit ins Spiel: langsam beginnt ein Kreislaufdenken. Vom Samen bis zur Körperzelle und wieder zurück in die Erde, eine schöne Entwicklung.
Bei meinen Erhebungen vor 20 Jahren waren die am häufigsten genannten Heilmittel keine klassischen Kräuter. Die Harze der Bäume, Honig, Apfelessig, Meerrettich und Zwiebel standen ganz hoch im Kurs. Die Harze waren im Alpenraum traditionell das wichtigste Wundheilmittel. Pechsalben wurden daraus gekocht, mit denen man offene Wunden behandelte. Heute können wir recht gut erklären, warum diese so gut helfen: sie sind entzündungshemmend, zusammenziehend und antimikrobiell. Dennoch sind die Rezepturen über die Jahrhunderte immer wieder an den Alltag der Menschen angepasst worden. So wurde etwa das Schweineschmalz oder Butterschmalz mit der Zeit durch Olivenöl aus dem Süden ersetzt.
Der Prozess des Pechsalbenkochens verlangt Hingabe und Zeit. Es sind gerade diese Stehzeiten, die in vielen Rezepten heute fehlen. Genau in diesen Pausen zwischendurch, wenn die halbfertige Zubereitung bei Zimmertemperatur in der Küche steht, passiert viel. Manches quillt auf und aus anderem werden Pflanzenwirkstoffe herausgezogen. Oft werden sogar Mikroorganismen vermehrt wie bei Fermentationen. Es ist also nicht egal, wie lange die Zubereitung dauert und ob dazwischen ohne Kühlung Zeit verstreicht.
Die Kräuterhandwerke werden seit vielen Jahrhunderten praktiziert. So ist es nicht verwunderlich, dass in sensorischen oder naturbezogenen Einheiten gemessen wird: die Blätter anwelken, bis sie braun sind, stehen lassen, bis es säuerlich riecht oder eine Mondphase lang ausziehen. Das macht viel Sinn, verläuft doch ein Auszug jedes Mal anders. Duft, Geschmack und Konsistenz zeigen der Kräuterexpertin, ob die Pflanzenwirkstoffe in eine gute Form gebracht wurden. Je nachdem, wofür der Auszug gebraucht wird, wird er unterschiedlich behandelt. Die scharfen Senföle aus dem Meerrettich und aus der Kapuzinerkresse lösen sich in Schnaps oder Öl, die Schleimstoffe der Malve quellen in Wasser, sogar schon in kaltem, und die Gerbstoffe aus dem Salbei macht der Essig bioverfügbar. Salbeiblätter zeigen uns ihre unterschiedlichen inneren Werte besonders gut: der langgezogene Salbeitee ist herb und ruppig, wirkt jedoch gut bei Entzündungen in Mund und Rachen. Wenn wir die Salbeiblätter in Olivenöl braten, zeigen sie ihre sanfte Seite. Aromatisch und schmackhaft ergänzen sie Risotto oder Kartoffelpüree.
Die gute Nachricht: Das Kräuterhandwerk ist einfach und alltagstauglich und für jede und jeden erlernbar. Es können kulinarische und heilkundliche Zubereitungen hergestellt werden. Mit Essig- und Ölauszügen, Kräutersalzen und Pasten kommt die Kräuterheilkunde auf den Teller und hält uns gesund. Gerade der Esstisch sorgt auch für eine gute Dosierung, denn dort wollen wir die Kräuter mit ihren harmonischen Aromen haben, nicht zu viel und nicht zu wenig.
Kapuzinerkresse-Kren-Tinktur
Zutaten
1 EL fein geriebene Krenwurzel
3 EL Kapuzinerkresseblätter und -blüten (oder Gartenkresse)
Schnaps, Korn oder Vodka mit ca 40 Volumenprozent Alkohol
Zubereiten
Die ungeschälte Meerrettichwurzel fein raspeln und die Kapuzinerkresse hacken. Beides in ein Schraubglas geben, mit Schnaps übergießen und fest verschließen. 2 bis 4 Wochen ziehen lassen, abseihen und gut verschlossen aufbewahren.
Anwenden
Als Erkältungsschutz, Immunstärkung und zum Schutz vor Harnwegsinfekten ½ bis 1 TL Tinktur einige Tage lang einnehmen.
Einen ganz anderen Charakter haben Essigauszüge. Apfelessig ist lebendig und ein Luftikus. Dauernd in Veränderung und stark im Ausziehen ringt er den Kräutern vieles ab: wasserlösliche Pflanzenwirkstoffe und auch etwas von den fettlöslichen. Innerlich und äußerlich säuert der Essig Schleimhaut und Haut an und unterstützte damit die Lactobacillen, die das so gerne haben. Der Hautessig löst Gerbstoffe und eine ganze Palette an Pflanzenwirkstoffen. Zur Anwendung verdünnen wir ihn, so macht er die Haut weich und angenehm.
Hautessig
Zutaten
3 EL frische Hautkräuter, geschnitten
(junge Walnussblätter, Rosenblüten, Lavendelblüten, Ringelblumen, Salbei, Rosmarin)
100 ml Apfelessig, naturtrüb und unerhitzt
500mlWasser
Zubereiten
Die Kräuter in einem Glas mit Essig übergießen, fest verschließen und 1 Woche ziehen lassen. Dann abseihen, mit 5 Teilen Wasser verdünnen und in eine Sprühflasche füllen.
Anwenden
Den Hautessig nach dem Waschen auf die Haut sprühen, um das Mikrobiom der Haut zu regene- rieren und zu aktivieren.
Dr.in Karin Buchart
Ernährungswissenschafterin, Autorin und Kolumnistin
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Alle Bilder dieses Beitrags sind Illustrationen von Andreas Leiter aus dem Buch „DIE NATUR-APOTHEKE – Das überlieferte und neue Wissen über unsere Heilpflanzen“ von Karin Buchart und Miriam Wiegele (Servus-Verlag 2018).