Seit 13 Jahren begebe ich mich jedes Jahr im sehr zeitigen Frühjahr bzw. späten Winter, jeden Samstagmorgen zu dem Krötenzaun in meiner Nachbarschaft, um die Kröten über die Strasse zu „ihrem“ Gewässer zu bringen.
Eigentlich ist es schade, dass diese Arbeit überhaupt von uns vielen Ehrenamtlichen geleistet werden muss: Den vielbefahrenen Feldweg in der Krötenzeit zu sperren, wurde von der Gemeinde abgelehnt und der vor vielen Jahren gut gemeinte, aber schlecht gemachte Krötentunnel ist leider nutzlos. Am traurigsten stimmt mich jedoch das Verhalten der Autofahrer die, trotz etlicher Hinweise an der Strecke und allgemein in den Medien zu schnell fahren. Die allermeisten Kröten sterben nämlich nicht durch das das direkte Überfahren, sondern aufgrund des aufgebauten Luftdrucks der durch das schnelle Fahren aufgebaut wird. Als Konsequenz platzen die empfindlichen Tiere auf und sterben nicht nur völlig unnötig, sondern auch qualvoll. Also bleibt nur das händische Auf- und Abbauen des Zauns und die mindestens einmal tägliche Kontrolle der Eimer über mehrere Wochen.
Aber da jede blöde Situation auch als Chance begriffen werden sollte, kommen wir zu den Vorzügen, die diese Arbeit mit sich bringt:
Zunächst einmal ist es ein niedrigschwelliges Angebot, sich aktiv in den Naturschutz einzubringen und schnell zu erlernen. Körperlich sollte man in der Lage sein zu gehen und sich zu bücken – eine ideale Möglichkeit also, auch Kinder mit einzubeziehen! Das Erlernen der Geschlechtsunterschiede ist relativ einfach und mit ein wenig Übung auch unkompliziert.
Entlang des Krötenzauns sind in regelmäßigen Abständen Eimer in die Erde eingebuddelt. Laufen die Kröten also auf die Strasse zu, stoßen sie an den Zaun und fallen dann nach kurzer Laufstrecke in eben einen dieser Eimer. Unsere Aufgabe beim „Krötendienst“ ist es, diese Eimer zu kontrollieren und die hinein gefallenen Kröten nicht nur zu entnehmen und an den Teich zu bringen, sondern auch, nach Geschlechtern getrennt, zu zählen. Da die Weibchen nur alle paar Jahre diese Reise antreten, ist der Männchenüberschuss enorm und der Druck auf die anwesenden Weibchen entsprechend groß. Hat ein Weibchen mehr als ein Männchen auf dem Rücken, gilt es sanft den stark ausgeprägten Klammerreflex der zu vielen Verehrer zu lösen, da sonst das Weibchen im Wasser zu ertrinken droht.
Mich beeindruckt jedes Jahr aufs Neue, wie sich ihr Instinkt und Hormone durchsetzen und sie sich jedes Jahr treu und entschlossen auf den Weg zu ihrem Geburtsort machen. Es ist spannend, bereits schon am Abend zuvor und am eigentlichen Morgen zu schätzen, ob es eine gute Wanderungsnacht für die Kröten war und dabei ganz nebenher das eigene Gespür für die Natur zu schärfen. Gibt es an dem Tag viele oder wenige Kröten in den Eimern, oder wird es gar eine Nullrunde? Neben dem Hormonrausch sind zusätzlich auch wärmere Temperaturen und Regen beste Voraussetzungen für eine aktive Wanderung.
Faszinieren tun mich auch ihre unterschiedlichen Charaktere. Einige sitzen in den Eimern und gucken verdutzt, als ob sie eigentlich gar nicht wüssten, warum sie eigentlich da sind. Andere Männchen wiederum sind so wild zur Paarung entschlossen, dass sie alles umklammern was geht, zur Not auch die menschliche Hand, die sie rausnimmt. Setzt man sie an dem Zielgewässer ab, laufen einige direkt auf das Wasser zu und scheinen sich auf den Trubel zu freuen. Andere bleiben erstmal unsicher sitzen und brauchen einen Moment, bevor sie sich zaghaft Richtung Wasser bewegen. Und dann gibt es die Kröten, die scheinbar „kalte Füße“ kriegen und lieber wieder erst ein Stück zurücklaufen. Jedes Jahr nehme ich mir die Zeit genau diese Verhaltensweise zu beobachten und zu genießen. Schon oft habe ich mich dabei gefragt, ob ich schon mehrmals einer Kröte diesen Shuttle-Service zum Anglerteich bieten durfte. Laut Nabu können sie immerhin bis zu 12 Jahre alt werden!
Beim Ablaufen und kontrollieren der Eimer entlang des Zaunes entwickeln sich oft Gespräche mit Anwohnern und Spaziergängern. Besonders schön ist es zu sehen, dass sich vor allem Kinder sich für die Kröten interessieren und es bietet eine wunderbare Gelegenheit, mit ihnen das Bewusstsein und Wissen für diese wunderbaren Geschöpfe zu teilen.
Manche sind überrascht, dass Kröten nicht die kleinen Geschwister der Frösche sind, sondern eher Cousins. Gemeinsam haben sie, dass sie zu den Lurchen gehören, aber je eine eigenständige Art sind. Im Gegensatz zu den Fröschen springen sie nicht, sondern laufen und das sogar erstaunlich schnell (wenn sie denn wollen). Auch quaken sie nicht, sondern fiepen höchstens, wenn sie sich bedrängt fühlen. Meist sind sie jedoch eher schweigsam.
An starken Wanderungsabenden sind zusätzlich Abendkontrollen notwendig, da der Zaun aufgrund eines Feldzuweges und Parkplatzes mit Lücken versehen sein muss. Auch wenn sich, meist witterungsbedingt, die Hinwanderung über einen verlängerten Zeitraum hinzieht, dann kollidiert das leider mit der Rückwanderung der Tiere. Diese ist zwar weniger ausgeprägt, aber so wird der eigentliche schützende Zaun leider zur Falle und die Kröten sitzen ungeschützt auf der Strasse. Kommen beide Faktoren zusammen, dann wird es interessant abzuschätzen ob die Kröte auf dem Weg zum Teich ist, oder sich bereits auf dem Rückweg befindet. Oft reicht es, sie kurz zu beobachten und sie dann dementsprechend an ihren Wunschort abzusetzen. Bestehen Zweifel, dann legen wir sie hinter den Zaun ab und sie kann entweder ihren Rückweg fortsetzen, oder aber sie fällt in einen der Eimer und erreicht somit am nächsten Morgen ihr Ziel.
Neben der „sichtbaren“ Arbeit am Zaun – ich selber bin auch nur daran beteiligt – gibt es eine Fülle von unsichtbarer Arbeit im Hintergrund, die dieses Naturschutzprojekt überhaupt erst möglich macht: Die Zuweisung der Kontrolltage, das Planen und Organisieren vom Auf – und Abbaus der Zäune sowie deren Wartung und Lagerung, das Erfassen und Übermitteln der Daten, die Kommunikation zum Kröten-Team und der örtlichen Bevölkerung und vieles mehr. Auch hier bietet sich die Möglichkeit, sich in den Naturschutz einzubringen.
Text und Bilder von Karin Summers.