Wer braucht schon Insekten?

Viele von uns haben ein eher gespaltenes Verhältnis zu Insekten. Schließlich krabbeln die. Und sie haben irgendwie zu viele Beine. Manche stechen auch völlig unnötigerweise. Den meisten sind Insekten aber eher egal als alles andere. „Was interessieren mich Bienen?“ fragen schon Schüler in der Schule. Und dass es immer weniger Insekten gibt, ist ja auch irgendwie gut – denn so bleiben die Autoscheiben schön sauber.

Ja, es gibt in der Tat immer weniger Insekten. Und zwar nicht nur ein bisschen: Zwischen 1989 und 2014 ist die Biomasse fliegender Insekten hier bei uns in Deutschland um mehr als 75 Prozent zurückgegangen. Auch wenn die Zahlen in verschiedenen Studien unterschiedlich sind: Völlig klar ist, dass der Rückgang dramatisch ist – und auch, dass das kein deutsches, sondern ein weltweites Problem ist.

Aber wieso soll das denn nun bitte ein Problem sein? Dass Insekten Blüten bestäuben, wissen die meisten von uns. Nicht aber, in welchem Ausmaß sie das tun: Mehr als 85 Prozent aller Pflanzenarten brauchen Insekten für ihre Bestäubung. Und Bestäubung ist bei Pflanzen das, was bei uns die Befruchtung ist. Ohne sie gibt’s keine Nachkommen. Jetzt bestäubt aber nicht jedes Insekt jede beliebige Blüte. Manche Pflanzen sind regelrecht spezialisiert auf bestimmte Insekten – und umgekehrt. Wenn es weniger Insekten gibt, geht also die Pflanzenvielfalt zurück. Bei uns in Deutschland sind fast ein Drittel der Pflanzenarten gefährdet.

 

Diese Biene sammelt Pollen und Nektar auf Oreganoblüten und bestäubt die Blüten dabei.

Insekten stellen auch eine wichtige Nahrung für viele Vögel dar – entsprechend können wir auch bei Vögeln einen drastischen Rückgang beobachten: Zwischen 1980 und 2016 sind in der EU rund 56 Prozent, in Deutschland rund 40 Prozent, aller Feldvögel verschwunden.

Das Verschwinden jeder einzelnen Art macht Ökosysteme mit ihren vielfältigen gegenseitigen Abhängigkeiten instabiler. Ein bisschen kann man sich das vorstellen wie ein Jenga-Spiel: Je mehr Klötzchen man aus dem Turm zieht und obendrauf legt, desto instabiler wird der Turm. Irgendwann schwächt das Herausziehen eines weiteren Steins den Turm so sehr, dass er schließlich zusammenbricht.

Können wir nicht auch super ohne funktionierende Ökosysteme leben? Klare Antwort: Nein, können wir nicht. Denn wir sind Teil der Natur. Stirbt die Natur, sterben über kurz oder lang auch wir Menschen. Wir sind abhängig von funktionierenden Ökosystem, denn diese erbringen für uns diverse Dienstleistungen, die wir für selbstverständlich halten, z. B. saubere Luft, Sauerstoff, sauberes Wasser, Nahrungsmittel, Arzneimittel.

Und noch viel eindrucksvoller lässt sich der Wert der Insekten verstehen, wenn man sich bewusst macht, dass auch viele Pflanzen, die wichtige Grundlage der weltweiten Ernährung sind, auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen sind. So können wir uns bei den Insekten für 35 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion bedanken.

Das sollte eigentlich Grund genug sein, dass wir mehr tun, um dem Aussterben von Insekten gegenzusteuern. Dafür sind vor allem größere Beschlüsse auf Seiten der Politik notwendig. Aber auch jeder einzelne von uns kann schon unheimlich viel tun. Beispielsweise, indem man den Rasen abschnittsweise mäht und abwechselnd Inseln von Klee und Gänseblümchen stehen lässt. Auch selteneres Rasenmähen hilft. Was wir häufig als „Unkraut“ beschimpfen, sind häufig Pflanzen, die unheimlich wertvolle Nahrungsquelle für Insekten sind. Wer in seinem Garten trotz allem kein „Unkraut“ duldet, kann mit einer bewussten Auswahl von Pflanzen auch etwas für die Insekten tun.

 

Und schließlich lohnt es sich wirklich, die Insekten mal genauer kennenzulernen – die Insektenwelt ist eine faszinierende Welt im Kleinen. Mit Hubschrauber- und Kampfpiloten, Fernreisenden, Räubern, dicken und dünnen, fleißigen und faulen, lustigen und ernsten, hübschen und weniger hübschen. Und je besser man sie kennenlernt, desto weniger fällt auf, dass sie eigentlich zu viele Beine haben.

Facebook
Twitter
LinkedIn