Die Welt, in der wir leben, ist durch und durch kultiviert. Fast jedes Fleckchen Erde ist bebaut, bewirtschaftet, eingehegt, in irgendeiner Form gemanagt. Aus der Luft sieht die Landschaft aus wie ein Flickenteppich, Natur hat klare Grenzen und kommt oft eher als Lückenfüller vor, große zusammenhängende Gebiete finden sich selten. Tendenz zunehmend! Denn wir leben in einer Zeit rasanten Naturverlusts. Das sechste Massenaussterben der Menschheitsgeschichte ist in vollem Gange, Grund dafür ist vor allem der abnehmende Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
Rewilding bietet darauf eine positive Antwort: Es geht darum, Natur wieder Platz zu geben, damit sie sich selbst entfalten kann – ohne menschlichen Eingriff. Dabei handelt es sich meist um große Gebiete, in denen natürliche Prozesse wieder stattfinden und Ökosysteme dadurch in ein Gleichgewicht kommen können. Auf diese Weise kehrt meist relativ schnell Artenvielfalt zurück und es entsteht ein Stück „Wildnis“. Wie dies aussehen kann, beschreibe ich in meinem Buch „Rewilding. Auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur“.
Klingt diese Botschaft nicht zu einfach, um wahr zu sein? In der Tat stößt die Umsetzung oft schnell an Grenzen. Wo gibt es geeignete Flächen? Der immense Flächenverbrauch ist eines der größten Probleme, an denen mehr Natur oft scheitert. Was es braucht, ist ein Umdenken. Ein Paradigmenwechsel. Die Einsicht, dass wir als Menschen nicht die „Krone der Schöpfung“ sind und uns die Erde nicht weiter „Untertan“ machen dürfen. Denn mit dem ungebremsten Verbrauch von Land und „Ressourcen“ fahren wir den Planeten gerade gegen die Wand.
Vor Jahren habe ich mein kleines Wildkräuterunternehmen „Unkultiviert“ gegründet. Dabei ging es hauptsächlich darum, Menschen bei Führungen und Workshops Wildkräuter näher zu bringen. Was ist Unkultiviert? Ganz einfach. Alles, was nicht kultiviert ist. Was nicht gepflegt, bearbeitet, urbar gemacht ist. Was nicht gezüchtet, gezähmt, angebaut ist. Was wächst, wo und wie es will. Ohne Zwang. Wild. Seit ich mich mit Rewilding beschäftige, gewinnt „Unkultiviert“ für mich eine neue Dimension: Zeit, uns selbst zu „unkultivieren“, uns zu ent-domestizieren und zu einem wilderen und eigenwilligeren Leben zu finden! Zeit für ein „Human Rewilding“! Rewilding in dem Kontext bedeutet für mich, (zurück)finden zu Lebensweisen, die in Verbindung mit Natur sind und auf einem nachhaltigen, verträglichen Miteinander basieren. Was wir brauchen, ist eine neue Kultur. Eine Gesellschaft, die auf neuen Beziehungen auf Augenhöhe mit allen Lebewesen basiert. Eine Kultur resilienter Systeme, regenerativer Produktionsprozesse, lebendiger Netzwerke. Dafür ist weniger Angst als Mut gefragt, um eine wirklich lebenswerte Biosphäre mit uns nicht als Krone, sondern als Teil der Schöpfung zu gestalten.